An die Ratsherren aller Städte deutschen Lands
von Martin Luther (1524 - seit drei Jahren in Acht und Bann)
Wir erfahren jetzt in deutschen Landen deutlich, wie man
allenthalben die Schulen eingehen läßt; die hohen Schulen werden schwach,
Klöster nehmen ab . . .
Niemand, niemand glaubt, welch ein schädliches, teuflisches
Vornehmen das sei; es geht doch so still daher, daß niemand merkt und will den
Schaden getan haben, ehe man raten, wehren und helfen kann. Man fürchtet sich
vor Türken und Kriegen und Wassersnot; denn da versteht man, was Schaden und
Nutzen sei. Aber was hier der Teufel im Sinn hat, sieht niemand, fürchtet auch
niemand; es geht still herein. Es wäre jedoch recht und billig, daß man da, wo
man einen Gulden gebe für den Kampf gegen die Türken, hier hundert Gulden geben
sollte, wenn jene uns gleich auf dem Halse lägen, ob man wenigstens einen
Knaben damit erziehen könnte, daß er ein rechter Christenmensch würde . . .
Deswegen bitte ich euch, alle meine lieben Herren und Freunde, um Gottes willen
und um der armen Jugend willen, wollt diese Sache nicht so gering achten, wie
es viele tun, die nicht sehen, was der Weltfürst vorhat. Denn es ist eine ernst
und große Sache, an der Christus und aller Welt viel liegt, daß wir dem jungen
Volke helfen und raten.
Und damit ist auch uns und allen geholfen und geraten. Liebe
Herren, muß man jährlich soviel aufwenden für Geschütze, Wege, Stege, Dämme und
dergleichen unzählige Stücke mehr, damit die eigene Stadt zeitlich Friede und
kein Ungemach habe. Warum sollte man nicht viel mehr, oder wenigstens auch
soviel aufwenden für die bedürftige Jugend, daß man einen geschickten Mann oder
zweie hielte als Schulmeister? - Auch soll sich ein jeder Bürger selber davon
bewegen lassen: er hat bisher so viel Geld und Gut für Ablaß, Messen, Vigilien,
Stiftungen, Testamente, Jahrtage, Bettelmönche, Bruderschaften, Wallfahrten und
was des Geschwürms mehr ist, verlieren müssen und ist er nun hinfort - durch
Gottes Gnade - von solchem Rauben und Geben befreit, so sollte er - Gott zu
Dank und Ehren - hinfort einen Teil davon für die Schulen geben, die armen
Kinder aufzuziehen. Und das wäre sehr wohl angelegt . . .
Die größere Menge der Eltern . . . weiß nicht, wie man
Kinder erziehen und lehren soll. Denn sie haben selber nichts gelernt, außer
den Bauch zu versorgen. Und es gehören besondere Leute dazu, die Kinder wohl
und recht zu lehren und zu erziehen.
Ja, ich weiß leider wohl, daß wir Deutschen immer Bestien
und tolle Tiere sein und bleiben müssen, wie uns ja die umliegenden Länder
nennen und wir es auch wohl verdienen. Mich wundert aber, warum wir nicht auch
einmal sagen: was sollen uns Seide, Wein, Gewürze und die fremden ausländischen
Waren, wo wir doch selber Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und Stein in
deutschen Landen nicht allein in Fülle haben zur Nahrung, sondern auch die
freie Wahl zu Ehren und Schmuck. Die Wissenschaften und Sprachen, die uns nicht
zum Schaden, vielmehr zu Schmuck, Nutz, Ehre und Frommen sind - beides: die
Heilige Schrift zu verstehen und weltliches Regiment zu führen -, die wollen
wir verachten und die ausländischen Waren, die uns weder not noch nütze sind,
um die wir uns schinden bis auf die Knochen, die wollen wir nicht entbehren?
Heißen wir nicht mit Recht deutsche Bestien und Narren?
Ja, was hat man gelernt in den hohen Schulen und Klöstern
bisher, als nur Esel, Klötz und Blöcke zu werden? Zwanzig, vierzig Jahr hat
einer gelernt und hat dennoch weder Lateinisch noch Deutsch gewußt. Ich
schweige von dem schändlichen lästerlichen Leben, in welchem die edle Jugend so
jämmerlich verdorben ist. - Wahr ist's, eh ich wollte, daß hohe Schulen und
Klöster bleiben so, wie sie bisher gewesen sind, so daß keine andere Weise zu
lehren und zu leben für die Jugend angewendet werden sollte, eher wollte ich,
daß kein Knabe etwas lernte und stumm wäre. Denn es ist meine ernste Meinung, Bitte und
Verlangen, daß diese Eselsställe und Teufelsschulen entweder im Abgrund
versänken oder zu christlichen Schulen verwandelt würden . . .
Weil denn das junge Volk muß ausschlagen und springen oder
je und je was zu schaffen haben, an dem es Lust hat, und ihm das auch nicht zu
verwehren ist – es wäre auch nicht gut, wenn man alles verwehrt -, warum sollte
man denn nicht solche Schulen für es errichten und ihm solche Wissenschaft vorlegen?
Zumal jetzt von Gottes Gnaden alles so eingerichtet ist, daß die Kinder mit
Lust und wie im Spiel lernen können, es seien Sprachen oder andere
Wissenschaften oder Geschichte . . .
Wenn ich Kinder hätte . . ., sie müßten
mir nicht allein die Sprachen und Historien hören, sondern auch singen und die
musica mit der ganzen mathematica lernen. Denn was ist dies alles als eitel
Kinderspiel? die Griechen haben vor Zeiten ihre Kinder darin erzogen; dadurch
sind doch wundergeschickte Leute aus ihnen geworden, zu allerlei hernach
tüchtig. Ja, wie leid ist mir's jetzt, daß ich nicht mehr Poeten und Historien
gelesen habe und mich dieselben keiner gelehrt hat.
Wir sind leider lange genug in Finsternis verfault und
verdorben.
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